Die Wahrnehmung des eigenen Verhaltens

Selbstwahrnehmung und Lernen

Alles Lernen beruht auf Wahrnehmung. Wenn ein Kind lernt den Ball gegen die Wand zu werfen und ihn wieder aufzufangen, so braucht es vor allem seine Muskelfunktion und seine Sinne. Es wirft, beobachtet, was geschieht, korrigiert, wirft wieder etc. Es ändert sein Verhalten aufgrund seiner Wahrnehmungen. Lernen setzt also gut funktionierende Sinne voraus. Die genaue differenzierte Wahrnehmung der Situation ist ein wesentlicher Teil des Lernprozesses.

BEWUSSTHEIT IST EIN WERKZEUG. Wenn dir etwas bewusst ist, kannst du wählen. Je grösser deine Bewusstheit ist, desto sorgfältiger kannst du wählen, desto mehr Wahlmöglichkeiten hast du.»

James S. Simkin

Gerade dieser Teil scheint beim sozialen Lernen eher schlecht zu funktionieren:

  • Nehme ich mein Gegenüber wirklich, wahr? Höre ich den Klang seiner Stimme? Kann ich sehen, was es mit seinem Körper ausdrückt?
  • Nehme ich mich selbst wirklich, wahr? Spüre ich meinen Herzschlag? Ist mir bewusst, dass ich die Stirn runzle, die Zähne zusammenbeisse? Oder, dass ich in meinen Gedanken bereits weit weg bin?

Unsere Wahrnehmung im zwischenmenschlichen Bereich ist oft sehr eingeschränkt. Lücken, Ausfälle und blinde Flecken sind eher die Regel als die Ausnahme.

Woher kommt das

Kleine Kinder nehmen z.B. andere Menschen noch sehr genau und unbefangen wahr: «Papi warum zuckt dein Mund so komisch?» «Mami warum hast du so rote Augen?» Kleine Kinder spüren auch sehr gut, was in ihnen selbst vorgeht. «Da drin tut es weh, darum muss ich weinen!» Diese Art der Wahrnehmungsfähigkeit wird im Laufe des Erziehungsprozesses eingeschränkt. «So was sagt man nicht!» «Starr die Leute nicht so an!» «Sei nicht immer so wehleidig!»

«Gut erzogene Kinder» haben meist gelernt, vieles nicht zu sehen, nicht zu hören und nicht zu empfinden. Dies ist ein wesentlicher Aspekt der Sozialisation, des Hineinwachsens in die Gesellschaft.

Wenn lernen im Beziehungsbereich jedoch möglich sein soll, muss gerade diese Wahrnehmungsfähigkeit wieder geweckt werden. Sehen, hören, spüren mein Gegenüber und mich Selbst.

Grundsätzlich können drei Zonen der Wahrnehmung unterschieden werden

  1. Die Wahrnehmung der äusseren Welt
    Die Sinne vermitteln uns – im Wachzustand eine Fülle von Eindrücken. Wir sind im Kontakt mit dem, was wir sehen, hören, riechen, schmecken oder berühren.
  2. Die Wahrnehmung der inneren Welt
    Wir können spüren, wie unser Herz klopft. Wir sind im Kontakt mit unseren Gefühlen. Wir sind fröhlich oder traurig. Wir haben Empfindungen von, Schwere, Müdigkeit, Leichtigkeit, Wohlbefinden etc.
  3. Die Wahrnehmung aufgrund von Gedanken- und Fantasietätigkeit
    Dinge, die wir nicht sehen, können wir uns vorstellen. Ereignisse die bereits vergangen sind, können in Erinnerung gerufen werden. Wir können auch zukünftiges vorwegnehmen und Pläne schmieden. Wir stellen uns Personen vor und reden innerlich mit ihnen usw.

Die Entwicklung der Wahrnehmungsfähigkeit beginnt damit, dass wir lernen uns bewusst zu werden, in welchem Bereich wir uns bewegen.

Ein kleines Experiment

Nimm dir fünf Minuten Zeit für dieses Experiment. Stelle dich an ein Fenster und schaue hinaus und Frage Dich:

Wo bin ich gerade jetzt? Wenn ich aus dem Fenster schaue, bin ich:

  1. Bei den Bäumen, die sich im Winde bewegen? (äussere Sinneswahrnehmung)
  2. Bei meiner Müdigkeit, die ich spüre? (innere Sinneswahrnehmung)
  3. Bei meinen Gedanken an dies, was ich heute Abend tun will? (Gedanken-/ Fantasietätigkeit)
Aus dem Fenster schauen

Die meisten Menschen, die dieses Experiment machen bemerken zunächst, dass sie sich viel mehr mit Vorstellungen und Gedanken befassen, als sie geglaubt haben. Sie stellen fest, dass es ihnen schwerfällt, bei Sinneswahrnehmungen zu verweilen. Sie beobachten, dass beim Betrachten einer Landschaft sofort das «innere Reden» anfängt und sie abschweifen, ohne dies bewusst zu merken. Auf einmal sind sie weit weg vom Auftrag die Landschaft zu betrachten. Manche Menschen stellen mit einem gewissen Erschrecken fest, dass sie gar nicht im Stande sind, sich selbst deutlich zu spüren.

Dieses Experiment können wir auch in Gesprächen mit anderen anwenden und uns dabei selbst beobachten. Im Gespräch mit anderen merken viele, wie flüchtig sie zuhören und wie sehr sie innerlich bereits mit eigenen Gedanken z.B. mit der Formulierung einer Antwort beschäftigt sind.

Solche Feststellungen sind wichtig. Nicht um sich jetzt anzustrengen, es anders zu machen.

Das blosse Bewusstsein dieser Vorgänge hat bereits etwas verändert.

Wenn ich in einem Gespräch also feststelle, dass ich:

  • Nur flüchtig zuhöre
  • Den anderen nicht richtig ansehe
  • Selbst körperlich verspannt bin
  • Dauernd daran denke, was ich selbst sagen will
  • Pläne für meinen Abend schmiede

So ist bereits eine wichtige Änderung eingetreten. Ich nehme wahr, was bisher unbewusst «abgelaufen» ist. Ich kann nun Stellung dazu nehmen. Ich kann mich z.B. dafür entscheiden, etwas länger bei meinen Sinnen zu bleiben und dem «inneren Geschwätz» etwas weniger zuhören.

Diese Form von Selbstwahrnehmung ist ein wesentlicher Schritt um seine Sozialkompetenz aufzubauen und weiterzuentwickeln.

Den inneren Beobachter zu aktivieren und diesen in seinem Alltag zu integrieren, braucht zu Beginn etwas Durchhaltevermögen. Doch es gibt wundervolle einfache Methoden sich seiner selbst mehr bewusst zu werden. Ist der Beobachter im eignen System installiert bereichert dies das Leben auf wundervolle Weise.

Bewusste Erwachsene sind ein Geschenk für jedes Kind. Das Vorleben eines bewussten Umganges mit sich selbst kommt jedem Kind zu gute. Wünschst du dir mehr Bewusstsein für dein Leben? Gerne unterstütze ich dich dabei.